Malteser
magazin
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Palliative Care
Es tut so gut,
Begegnungen mit Sterbenden
Claudia Johanna Bauer
Thea Weis
mit dir zu
sprechen
Es tut so gut, mit dir
zu sprechen
Begegnungen mit Sterbenden
Claudia Johanna Bauer
Thea Weis
In diesem Buch berichten Ehrenamtliche des Malteser Hospiz-
dienstes, die schwerkranke und sterbende Menschen begleiten,
von ihren Erfahrungen. Diese Begegnungen sind sehr unter-
schiedlich, einige dauern nur wenige Stunden, andere Monate
oder sogar Jahre. Geprägt sind sie von der Nachdenklichkeit über
das Vergangene und über das Sterben. Es gibt aber auch das
befreiende Lachen, die tief empfundene Freude und den Trost,
den man gibt und empfängt.
50 Geschichten machen Mut, den Tod nicht zu negieren, sondern
ihn als Teil des Lebenskreislaufes anzunehmen.
9 783861 246855
ISBN978-3-86124-685-5
9,95€ [D]
Liebe Regine,
Du weißt, ich war schon über dreißig, als ich in den italie-
nischen Alpen Skifahren lernte. Wir waren mit zwanzig
Leuten angereist. Du warst meine Skilehrerin – und eine meiner
besten Freundinnen. Egal, ob die Piste flach oder extrem steil
angelegt war, du fuhrst immer mit demselben Schwung und
Tempo vor mir her. Ich versuchte, hochkonzentriert in deiner
Spur zu bleiben. Auf dich
mmer der gleiche Rhyt-
hmus: links, rechts, links, Schwung, Schwung, Schwung. So
schafften wir jeden Tag viele traumhafte Talabfahrten, einzig
unterbrochen von einigen Pausen in einer Skihütte mit sagen-
haft leckerem Cappuccino.
Der Grund, warum wir nicht mit allen anderen fuhren,
war nicht nur mein begrenztes Können. Es lag auch daran,
dass du dich nicht wohl fühltest. Seit einigen Tagen hattest du
Schmerzen in der Magengegend. Und es sollte nicht besser wer-
den. Schon kurz nach unserem Skiurlaub kam die Diagnose:
Bauchspeicheldrüsenkrebs. Bei meiner Recherche im Internet
erfuhr ich, dass die durchschnittliche Lebenserwartung danach
noch acht Monate beträgt.
Du hast die kurze Zeit, die dir noch blieb, mit demselben
vertrauten Schwung gemeistert, wie die Piste so das Leben. Bist
gleichmäßig und bestimmt durch alle Phasen des Sterbens ge-
glitten. Zuerst wolltest du es nicht wahrhaben. Dann kam die
Wut, dann das Verhandeln, das in ein tiefes Nachdenken über-
ging. Schließlich das Loslassen. Und bei allem hast du versucht,
die Familie und deine Freunde in der Nähe zu behalten.
Selbstbestimmt wie dein Leben war auch dein Sterben.
Schon bald hast du alle Therapien abgelehnt. Und alles,
was deiner Ansicht nach wichtig war, noch geregelt. Eine star-
ke Persönlichkeit warst du, bis zum Schluss.
„Ich bereue nichts“, hast du zu mir gesagt. „Und ich vermisse
auch nichts.“ Kein Wunder, denn du hast immer getan, wozu
du Lust hattest, nie etwas aufgeschoben für später. Als hättest
du es schon geahnt. „Mein Leben ist so angefüllt mit Erlebnis-
sen“, sagtest du, „das würde für drei Frauen reichen. Darum
werde ich früher gehen. Das ist in Ordnung.“
Traurig warst du eigentlich nur, dass du deine Enkeltochter
nicht aufwachsen sehen würdest. Aber du hattest Vertrauen in
deine Tochter, konntest auch hier loslassen.
Du warst neugierig auf den Tod. Was wohl danach käme?
Wir haben so viel darüber geredet. Stundenlang. „Es tut mir
gut, mit dir zu sprechen“, hast du gesagt. „Gerade über diese
Dinge, über die die anderen lieber nicht reden wollen. Du
kannst das gut.“ Du hast gelächelt. Und genickt. „Wie wär‘s?“,
hast du gefragt. „Willst du das nicht häufiger machen? Auch
für andere Menschen?“
Unser Gespräch liegt inzwischen über zehn Jahre zurück.
Ich habe damals gleich die Ausbildung zur ehrenamtlichen
Sterbebegleiterin beim Malteser Hospizdienst gemacht. Viele
Sterbebegleitungen liegen seitdem hinter mir. Sicher werden
auch noch viele folgen.
Jedes Jahr mache ich Skiurlaub in den italienischen Alpen.
Dann nehme ich dich in Gedanken die Talabfahrt mit hinunter.
Ziehe mit deinen regelmäßigen Schwüngen über die Piste – und
manchmal auch durchs Leben. Danke, liebe Regine!
P.S. Deine Enkeltochter ist großartig. Sie hat deine Augen.
Du wärest sehr stolz auf sie.
Es tut so gut, mit dir zu sprechen
Geschichten, die Mut machen: Ehrenamtliche des Malteser
Hospizdienstes in Berlin haben ihre Begegnungen mit Sterbenden
aufgeschrieben. Was sie erlebt haben, wie es ihnen ergangen ist.
Claudia Johanna Bauer und Thea Weis haben daraus ein Buch mit
50 Geschichten gemacht – Geschichten, die geprägt sind von
der Nachdenklichkeit über das Vergangene und über das Sterben.
Aber es gibt auch das befreiende Lachen, die tiefempfundene
Freude und den Trost, den man gibt und den man empfä gt. Hi r
ist eine davon.
50 Geschichten von Begegnungen mit Sterbenden. Erschienen
in der edition q in der be.bra verlag GmbH
ISBN 978-3-86124-685-5, 176 Seiten, Paperback, 9,95 Euro in
Deutschland