Malteser
magazin
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Palliative Care
Werden Sie sich freuen, wenn ich gestorben bin?
Ihre Stimme ist hart und klar: „Ich denke oft daran, mir das Leben zu nehmen. Ist das so abwegig?
Dass man selber einen Punkt setzen möchte, nach eigenem Ermessen? Die Zeit, die ich hier verbringe, ist
doch nur noch ein Abwarten.“ Ihr Blick schweift zur geschlossenen Tür und wieder zurück. „Aber wissen
Sie, was mich wundert? Dass ich Ihnen das alles erzähle. Das ist sonst nicht meine Art. Normalerweise
mache ich so was mit mir allein aus.“
„Aber vielleicht notgedrungen“, wende ich ein, „weil keiner da ist, dem Sie sich anvertrauen könnten.“
„Ich wollte Sie damit eigentlich nicht belästigen.“
„Aber ich finde es gut, dass Sie es mir erzählt haben! Es ist immerhin ein Anfang! Ich glaube nämlich,
dass Sie sich mit der Vergangenheit und ihrer Krankheit und auch mit ihren Ängsten auseinandersetzen
sollten. Um sie irgendwann zu überwinden.“
In ihrer Miene flackert der Zweifel. „Meine größte Angst ist im Augenblick, dass ich heute Nacht
nicht schlafen kann, nachdem wir das alles aufgerührt haben.“
„Kann sein“, nicke ich. „Aber vielleicht sagen Sie mir nächste Woche auch, dass es Ihnen gut getan hat,
darüber zu reden.“
„Meinen Sie? Na, ich weiß nicht.“
„Wir werden sehen.“ (…)
„Haben Sie denn nach unserer Unterhaltung letzte Woche wirklich
schlecht geschlafen?“
„Ja.“ Wieder dieser harte Ton. „Aber wir machen trotzdem genau da
weiter, wo wir letztes Mal aufgehört haben.“
Welch ein Widerspruch! Aber offensichtlich hat es ihr doch gut getan,
über die Dinge zu sprechen. Ich bin verwirrt, aber auch erleichtert, denn
ich hatte schon ein schlechtes Gewissen.
Als Gegenmaßnahme habe ich ihr Zeitschriften mitgebracht. „Wenn
Sie sich das nächste Mal einsam fühlen, nehmen sie sich die bunten Blätt-
chen vor. Das bringt Sie auf andere Gedanken.“
„Gern“, sagt sie. Und etwas später: „Werden Sie sich denn freuen,
wenn ich gestorben bin?“
Ich spüre ihren forschenden Blick. Das ist eine schwere Frage.
„Wenn es so kommt, wie Sie es wollen, wenn Sie irgendwann ganz in
Ruhe einschlafen – ja, dann freue ich mich.“
„Ja, wenn es so käme, das wäre ein Fest!“, sagt Frau Banse. „Aber
man sieht hier im Haus so viel anderes, wenig Festliches. Die Chancen
stehen wohl nicht besonders gut.“
„Man kann nie wissen“, halte ich dagegen.
„Nein, das kann man nicht.“
Noch später, beim Abschied, sagt sie: „Ihr Besuch hat mir heute besonders gut gefallen.“
Das ist doch der schönste Lohn, den ich bekommen kann.
Als ich das nächste Mal komme, ist ihre Tür geschlossen. Davor steht eine Laterne, in der ein Teelicht
flackert. Das kann doch nicht sein. Habe ich mich etwa in der Tür geirrt?
Eine Schwester merkt meine Verwunderung.
„Frau Banse ist heute morgen nicht mehr aufgewacht“, erklärt sie mir. „Einfach so.“
„Gehen Sie ruhig hin, Frau Banse liegt noch in ihrem Bett.“ (…)
Sie sieht aus, als ob sie bloß Mittagsschlaf hält. Entspannt, ruhig und zufrieden. Ich schüttele den
Kopf, mir fehlen die Worte. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht damit, dass diese unzufriedene, getrie-
bene Frau so ruhig entschlafen würde. Welches Glück für sie. Welche Erleichterung.
Auszug aus der Geschichte „Der Unterschied“ aus dem Buch
„Es tut so gut, mit dir zu sprechen“ (siehe Seite 8)
Nach dem Tod eines Patienten, der vom Hospizdienst begleitet
wurde, wird ein Stein mit seinem Namen beschriftet. Einmal
im Jahr gedenken die Begleiter in Berlin ihrer Verstorbenen in
einer besonderen Feier.
Foto: Regina Ehm