XII Malteser Magazin 4/22 Was ist Armut? Ein Gespräch zum Thema Armut mit den Diözesanseelsorgern Jürgen Olf (Erzdiözese Freiburg) und Vitus von Waldburg zu Zeil (Diözese Rottenburg-Stuttgart). Der 13. November ist dieses Jahr der „Welttag der Armen“, den Papst Franziskus 2016 ins Leben gerufen hat. Wie begegnet Ihnen in Ihrer Position Armut? Jürgen Olf: Was zunimmt, sind Engpässe in der ganz normalen Alltagsversorgung. Wenn ich die Sprache der Hilfesuchenden beherrsche, erwischt mich das ganze Programm. Ich werde zum „Papa“, habe die halbe Nacht Telefondienst, bekomme Gebetsaufträge. Manchmal sehr rührende Geschichten, manchmal braucht es starke Nerven. Dafür habe ich aber auch die Möglichkeit, wirklich einzugreifen wie Don Camillo. Vitus von Waldburg zu Zeil: In meiner Position als Pfarrer sehe ich den klassischen Bettler, der an die Tür klopft und etwas braucht. Darüber hinaus kommen auch immer mehr Menschen, die man gar nicht als Bettler bezeichnen sollte. Diese haben einfach Pech in ihrem Leben und kommen mit dem, was sie haben, nicht aus. So sind nicht wenige Menschen einfach überschuldet. Hier zu helfen ist besonders schwierig, weil sich hier meist ein Fass ohne Boden auftut. Auch kommen Menschen zu mir, die seelische Probleme, Ehe- und Beziehungsprobleme haben. Ich sehe aber auch Menschen, besonders junge Menschen, die sich ihrer Armut im Glauben zwar nicht bewusst sind, aber dennoch fragen nach dem Sinn des Lebens. Hier denke ich an Heiratswillige, die plötzlich feststellen, mehr vom Glauben wissen zu wollen. Hier sehe ich junge Eltern, die ihr Kind zur Taufe tragen wollen, aber gar nicht wissen, was sie hier tun. Olf: Stichwort: Fass ohne Boden. Das ist oft der nachhaltigste Eindruck. Pekuniär, aber auch seelisch. Geschichten zum Heulen. Es gibt da eine strukturelle Armut, in die Menschen hineingezogen werden. Nachts steigt dann bei mir manchmal die Wut über eine Gesellschaft, die mit den Enttäuschungen solcher Menschen auch noch Profit macht oder stolz ist auf Einrichtungen und ihre Bilanzen, statt sich die Mühe der ständigen Begleitung der Haltlosen zuzumuten. Waldburg zu Zeil: Bleiben wir zunächst bei den materiellen Hilfen. Doch bekommen wir als Priester, wir als Kirche nicht häufig genügend Geld, um es denen zukommen zu lassen, die es am nötigsten brauchen? Diese Gelder sind nicht zum Sparen da. Auf wen wollen wir denn warten? In meiner Arbeit in der Armenfürsorge arbeite ich nach dem Prinzip der Augenhöhe. Es steht uns als Kirche, als Seelsorger oder auch als freigebiger Mensch nicht zu, darüber zu urteilen, was der Bedürftige mit dem Geld macht, das ich ihm gebe. Das mag zunächst verwunderlich klingen. Doch wenn ich in jesuanischer Sicht dem Nächsten nicht auf Augenhöhe begegne, wird er mir kein Vertrauen entgegenbringen. Wie oft führen wir uns auf und wollen den Nächsten erziehen. So steht es mir nicht zu, dem anderen z. B. Geld für Lebensmittel zu geben und ihm im gleichen Atemzug zu verbieten, Alkohol und Nikotin zu kaufen. Wir müssen uns in die Lage der Bedürftigen versetzen, was die brauchen. Und so steht es uns nicht zu, hier zu urteilen. Dabei muss man das Risiko eingehen, dass der Bedürftige selber einschätzen darf, was für ihn gut ist. Haben wir uns an die Krise gewöhnt und stumpfen wir ab? Olf: Das könnte zur Frage aller Fragen werden. Allerdings haben wir mittlerweile Anstöße genügend zum Umdenken bekommen. Und die Menschen in der Ukraine dürften uns so manches zu denken und zum Umlernen gegeben haben. Waldburg zu Zeil: Gottlob geht es uns allen, verglichen mit anderen Ländern, sehr gut. Zunächst darf man auch darauf hoffen und aufbauen, dass der Mensch in Krisen flexibel und fantasievoll reagiert. So ist es auch eine große Hürde, seinen Stolz zu überwinden und um Unterstützung anzusuchen. Außerdem hat unser Staat grundsätzlich auch ein feinmaschiges Fangnetz. Dennoch bereiten wir uns darauf vor, wenn auch zunächst noch gemächlich, dass es im kommenden Winter zu Krisen vor Ort kommen kann. Das gesamte Interview finden Sie unter https://www.malteser-bw.de Interview: Andreas Hellstab (Oktober 2022) Vitus von Waldburg zu Zeil (61) verwitwet, vier Kinder, vier Enkel. Beruflich zunächst im Klinikmanagement beratend und leitend tätig. Seit 2022 leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit Lone-Brenz mit 7 Pfarreien, Diaspora-Gebiet am Rand zwischen Ostalb und Donau-Ries. Mitglied des Malteserordens seit 1989. Seit 2002 aktiv beim Malteser Hilfsdienst als Bezirksbeauftragter Oberschwaben. Jürgen Olf (76), Pfarrer der Erzdiözese Freiburg, 1971 geweiht, immer in der Pfarrseelsorge tätig, seit 2016 im Ruhestand. Seit 1989 Mitglied des Malteserordens. Pfarrer Vitus von Waldburg zu Zeil Fotos: privat Pfarrer Jürgen Olf Foto: Andrea Kohl
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