Malteser Magazin 02/2019

Malteser magazin • 2/19 8 ARMUT „Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel.“ Hart klingt dieser Spruch, vielleicht sogar ein bisschen theatralisch. Doch wer glaubt, das gebe es bei uns nicht, das sei unrealistisch in unserem Wohl- standsstaat, täuscht sich ganz gewaltig. Manuela Seibold, stellvertretende Leiterin Soziale Dienste bei den Pas- sauer Maltesern, kann aus vielfacher Erfahrung davon berichten, wie viele arme Menschen es auch in unseren Breiten gibt, die unverschuldet in diese Situation geraten sind und sich nicht einmal ein warmes Essen am Tag leisten können. Sie sagt: „Wenn die Rente kaum zum Leben reicht, man jeden Cent drei- mal umdrehen muss und man versucht einzusparen, was nicht unbe- dingt nötig ist. Da wird eine warme Mahlzeit am Tag zum Luxus. Der Weg zur Tafel gehört gerade für immer mehr ältere Menschen zum All- tag. Durch Alter, Krankheit oder eine Behinderung sind viele Menschen in eine finanzielle Schieflage geraten. Die finanziellen Mittel reichen dann oft nicht aus, um selbst einkaufen zu gehen oder sich gar Essen auf Rädern leisten zu können.“ Gesprochen wird darüber in den meis- ten Fällen nicht. „Altersarmut ist nicht salonfähig und findet hinter ver- schlossenen Türen statt“, weiß Manuela Seibold. Diese Türen öffnen sich für die Malteser immer wieder, und sei es oft auch nur einen spaltbreit. Die Betroffenen nehmen ihren ganzen Mut zusammen, erhoffen sich und erhalten Hilfe. Damit genau diese Men- schen nicht in Vergessenheit geraten und sie ihnen noch effektiver helfen können, haben die Malteser vor einigen Jahren das Projekt der Mahlzeiten-Patenschaften ins Leben gerufen. Das Prinzip ist ganz ein- fach. Die Malteser suchen nach Spendern, den Paten, die ihnen Geld zur Verfügung stellen. Diese Spenden kommen in einen großen Topf und die Malteser machen sich gezielt auf die Suche nach Menschen, denen es an Mitteln fehlt, sich wenigstens einmal am Tag etwas Anständiges zu Essen zu leisten. Rolf Berlinger aus Passau ist einer der wenigen, der den Mut gefunden hat, über seine Situation zu sprechen. „Vor einem Jahr habe ich ihn zum ersten Mal besucht, um mir ein Bild von ihm und seinem Umfeld zu machen. Denn wir möchten die Menschen, denen wir Gutes tun wollen, gerne näher kennenlernen. Das sind wir allein schon den Paten schul- dig“, so Manuela Seibold. „Er hat mir ganz offen von seinem Leben und den vie- len Schicksalsschlägen erzählt. Vom ersten Atemzug an hatte er es schwer. Sauerstoffmangel bei der Geburt war wohl die Ursache, dass er mit einer schweren Behinde- rung leben muss. Darunter litt er von Kindestagen an“, berichtet Manuela Seibold von dem Gespräch mit Rolf Berlinger. In einem Dorf in der Nähe von Passau aufge- wachsen, konnte er mit drei Jahren immer noch nicht richtig laufen. Der Arzt diagnostizierte eine schwere Spastik. „Aber dumm ist der Bub nicht!“, habe der Medi- ziner damals betont. „Wenn man sich in seinem karg eingerichteten Wohnzim- mer umsieht, fallen einem sofort die vielen Bücher auf. Thomas Mann, Nietzsche und Hermann Hesse lehnen sich im Bücherregal eng aneinander. Herr Berlinger ist, so bezeichnet er sich selbst, ein ‚akademischer Philosoph ohne Universitätsabschluss – ein zurückgezogener Idea- list‘. Genutzt hat ihm sein großes Wissen im beruflichen Alltag nichts“, berichtet Manuela Seibold weiter. Rolf Berlinger war noch keine 20 Jahre alt, als sein Vater starb. Durch seine Behinderung ohnehin schon schwer angeschlagen, brachte ihn dieser Schicksalsschlag end- gültig an seine Grenzen. Deshalb musste er die Fach- oberschule ohne Abschluss verlassen. Er absolvierte eine Ausbildung als Industriekaufmann und geriet dabei sehr schnell an seine körperliche und seelische Belastungs- grenze. Aufgrund seiner Beeinträchtigung und des To- des seines Vaters war er dem Anspruch der Arbeitswelt nicht gewachsen und geriet dann letztendlich nach drei Jahren als Bibliotheksgehilfe in ein schweres Burnout. Seitdem ist er nicht mehr arbeitsfähig. Mit seinen erst 53 Jahren lebt er von der Erwerbsunfähigkeitsrente und ver- bringt seine Tage mit Fernsehen und Krankengymnas- tik. Lesen kann er nicht mehr. Seine schönsten Momente sind die Besuche einer Betreuerin seines Pflegedienstes und der Gang zur Tafel. „Durch die Tafel sind wir auf ihn aufmerksam geworden. Seit über einem Jahr versorgen wir Rolf Berlinger jetzt bereits mit warmen Mahlzeiten, die dank der Paten fi- nanziert werden können“, erklärt Manuela Seibold. Bei ihren Besuchen erfährt sie viel Dankbarkeit von den Nutznießern. Rolf Berlinger verpasst keine Gelegenheit, sich immer und immer wieder für diesen kleinen Luxus des täglichen warmen Essens zu bedanken. Es erleichtert sein Leben in vielerlei Hinsicht. Manuela Seibold, Rosmarie Krenn Wenn ein warmes Essen zum Luxus wird Malteser Mahlzeiten-Patenschaften für Rolf Berlinger Rolf Berlinger und Manuela Seibold: Er ist den Maltesern dankbar für den „Luxus“ eines warmen Essens am Tag, ihr ist er im Laufe der Zeit ans Herz gewachsen. Foto: Stefanie Weber

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