Malteser Magazin 02/2018

Malteser magazin • 2/18 aus der malteser welt Mut zum Trauern Die ehrenamtlichen Helfer im TrauerZentrum Oberberg begleiten durch schwierige Zeiten 900.000 Menschen sterben in Deutschland pro Jahr. Viele von ihnen hinterlassen Angehörige. Im Trau- erZentrum Oberberg finden die Hinterbliebenen Hilfe – und Schritt für Schritt zurück ins Leben. Es ist Dienstagabend, 18 Uhr – doch im Malteser Trau- erZentrum Oberberg geht die Arbeit gerade erst los. Was ist Trauer? Was verändert sich durch den Verlust eines geliebten Menschen? Und wie begegnet die Ge- sellschaft Trauernden? Die Antworten auf diese Fra- gen gehören für die Teilnehmer zum Alltag. Denn jeder Einzelne von ihnen musste am eigenen Leib er- fahren, was es bedeutet, wenn ein Familienmitglied stirbt. „Trauer hat sich zu einem Tabuthema entwi- ckelt“, erläutert Conny Kehrbaum, Leiterin des Trau- erZentrums. „In unserer Leistungsgesellschaft haben Krankheit, Tod und Leid keinen Platz mehr.“ Die Fol- ge: Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie mit Betroffenen umgehen sollen. Unsicherheit, Angst und Hilflosigkeit machen sich breit. Eine Erfahrung, die auch Raphael Glöckner gemacht hat. „Mein Sohn und meine Mutter sind kurz nachei- nander verstorben. Viele Menschen aus meinem Um- feld wussten danach nicht, wie sie mit mir umgehen sollten.“ Sie versuchten es mit gut gemeinten Ratschlä- gen, Kontaktvermeidung und Totschweigen des The- mas. Auch darum verlor der 41-Jährige in der bislang schwierigsten Zeit seines Lebens die Hälfte seiner Freunde. „Das tut weh. Aber warum soll ich als Trau- ernder mich dafür entschuldigen, dass mir das alles passiert ist?“ Tatsächlich unterschätzen die meisten Menschen, wie überwältigend das Gefühl von Trauer sein kann. „Durch den Verlust eines geliebten Men- schen wird man auch selbst aus dem Leben gerissen und muss sich dann Schritt für Schritt wieder zurück- kämpfen“, berichtet Glöckner. Am wichtigsten ist: Zuhören Deshalb besteht die Aufgabe von einer hauptamtlichen Mitarbeiterin und zehn ehrenamtlichen Trauerbeglei- tern am TrauerZentrum Oberberg vor allem in einem: Zuhören. Denn für viele Trauernde ist das Zentrum der einzige Ort, an dem sie wirklich sie selbst sein können – mit all ihren Gefühlen und Problemen. „Den größten Teil unserer Arbeit machen Einzelbegleitungen aus“, er- läutert Vera Richling, ehrenamtliche Trauerbegleiterin am TrauerZentrum. „Bei einem so persönlichen Thema wie der Trauer braucht es Zeit, bis man Vertrauen ge- fasst hat und bereit ist, sich zu öffnen.“ Sechs bis acht einstündige Sitzungen sind daher das Minimum. 14 In Einzelgesprächen erarbeiten die Betroffenen am TrauerZentrum Oberberg gemein- sam mit ihren Begleitern Strategien für den Umgang mit der Trauer. Foto: Michael Englert Dass bislang jeder Trauernde die nötige Unterstützung gefunden hat, liegt nicht zuletzt an der sorgfältig vorbereiteten Zusammenstellung jedes Tandems. „Wenn sich ein Trauernder an uns wendet, führe ich zunächst ein Vorgespräch mit ihm“, erläutert Evelin Bottenberg, Koordinatorin im TrauerZentrumOberberg, das Vorgehen. Erst dann fällt die 54-Jährige die Entscheidung, welcher Begleiter für welchen Trauernden infrage kommt. „Der Schritt, sich Hilfe zu suchen, kostet Mut – das muss man anerkennen“, sagt Bottenberg. „Viele Trauernde kommen nur zu uns, weil unser Ange- bot für sie der letzte rettende Anker ist.“ Das war auch bei Glöckner so. „Mich hat die schiere Verzweiflung hergebracht. Ich wusste: Das schaffst du nicht alleine.“ Die Gepräche helfen ihm, mit der Trauer und ihren Aus- lösern umzugehen. Zusätzlich bietet das TrauerZentrum regelmäßig Trau- erspaziergänge sowie einen offenen Trauertreff an. Zukünftig sollen auch kreative Angebote wie Bildhauerei und Tanz hinzukommen. „Wir wollen den Menschen einen Grund geben, aufzustehen und aus dem Haus zu ge- hen“, stellt Kehrbaum fest. „Denn auch wenn jeder Schritt Überwindung kostet – am Ende ist er ein Schritt zurück ins Leben.“ Rebecca Lorenz

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